Am Meer und am Watt
Nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub, erzählt mir eine ehemalige Kollegin von 264 Mails in ihrem Postfach. Und da sind dann auch noch die Fragen ihres wichtigsten Kunden zu einem großen Projekt, die von der Urlaubsvertretung dann doch nicht beantwortet wurden.
Ich bin quer durch Deutschland gefahren im letzten Sommer und habe verunsicherte und völlig erschöpfte Menschen getroffen, aber auch sehr viele Momente des Glücks erlebt. Erschöpft sind die Menschen von den vielen, persönlich zu spürenden Unsicherheiten, die es jeden Tag gibt. Pandemie, Geldsorgen, Sorgen im Job, Sorgen um die Familie. Natürlich hat er sein Laptop mit in den Urlaub genommen, er will schließlich mal in Ruhe arbeiten, sagt ein Freund zu mir. Urlaub und Freizeit verschmelzen immer mehr, das geht auch deshalb alles sehr gut, da die Ferienhäuser und Apartments z.B. an der Nord- oder Ostsee, dank sehr schnellem W-Lan, "Meeting-tauglich" geworden sind.
Abends beim Essen erlebe ich die Momente des Glücks, endlich wieder mit den Freunden und neuen Leuten, die ich gerade erst kennen gelernt habe, zusammen zu sitzen. Und endlich gibt es auch immer mehr vegetarische und vegane Gerichte auf der Karte. Das Wetter schwankt zwischen Sommer und Herbst und die Nordsee zeigt sich von ihrer rauen, stürmischen Seite.
Warum fällt es uns heute so schwer, Urlaub zu machen? Ob in der Toskana oder auf Sylt, der Arbeitsrhythmus lässt viele Menschen nicht los und sie kommen nicht weg von den, zum Teil, sehr komplexen, beruflichen und damit auch persönlich belastenden Themen. Die Arbeit ist heute so fest an den Menschen gebunden, dass dann, wie selbstverständlich, nach 2 Minuten Kennenlernen am Strand nachgefragt, hinterfragt und verglichen wird, mit der scheinbar einzig und allein wichtigen Frage „Und was machst Du so beruflich?“. Klar, Kontakte knüpfen, Netzwerken ist gerade unter Selbstständigen sehr wichtig. Nur wie kann das Loslösen aus dem Alltag gelingen, wenn selbst am Strand über die „Challenges“, „Opportunities“ und Deadlines eines aktuellen „Produktlaunches“ geredet wird? Mitten in einem Naturschutzgebiet, in dem die Kinder immer wieder fragen, was das denn eigentlich ist, dieses „Watt"?
Durch die Entkopplung mit der Natur sind menschlichen Zustände entstanden, in denen wir uns zwar ausgiebig in der Natur niederlassen, häufig aber die natürliche Umwelt gar nicht mehr wahrnehmen. Daher ist eine ruhige Zeit am Meer für Dich so wichtig für das entspannte Nachdenken. Das Watt, als dieser einzigartige und so faszinierende Lebensraum, erstreckt sich über 9.000 Quadratkilometer und 450 Kilometer Länge von den Niederlanden, über die Ostfriesischen Inseln und die Nordfriesischen Inseln, bis nach Dänemark. Bei Ebbe entsteht das Bild eines trockenen und sehr gut begehbaren Bodens, ein Lebensraum mit hunderten Tier- und Pflanzenarten. Die salzige Luft und der Wind tuen gut und wir laufen durch diese wunderbare Natur für Stunden, finden Krebse und Schnecken, Muscheln, beobachten fasziniert die Arbeitsergebnisse der Wattwümer.
Hier kommst Du zur Ruhe und kannst das Spektakel der vielen Vogelarten, beim Suchen nach Nahrung, beobachten. Der Blick auf den weiten Horizont ist magisch. Das menschliche Auge kann dies alles zwar schnell einfangen, nimm Dir die Zeit, um die Dinge wirklich in Ruhe wahrzunehmen.
Literatur Tipp: Jan Haft, Heimat Natur, Eine Entdeckungsreise durch unsere schönsten Lebensräume von den Alpen bis zur See, Penguin Verlag, 2021